Nicht jeder Mensch kann es sich leisten laut zu werden!

 

Was kann der Wunsch nach Zugehörigkeit Menschen emotional, beruflich und sozial kosten? Daran anknüpfend beschäftigt mich heute ein Gedanke aus Cass R. Sunsteins Buch "How Change Happens". Sunsteins Theorie zufolge, geht gesellschaftlicher Wandel meistens von (wenigen) Menschen aus, die sich schon früh und sichtbar positionieren, bevor die breite Zustimmung überhaupt existiert.

Sunstein nennt diese Menschen die "Ones". Für ihn sind die "Ones" diejenigen, die nicht (ab)warten, bis es bequem oder sicher ist, um laut zu werden. Sie werden laut, weil sie aus Überzeugung handeln. Und im besten Fall folgen ihnen dann die "Twos" und irgendwann die "Millions".

So überzeugend dieser Ansatz für mich auch ist, blendet er gleichzeitig etwas sehr wichtiges aus. Denn nicht jeder Mensch k a n n es sich leisten, ein "One" zu sein. Menschen, die zB strukturell weniger geschützt oder mehrfach marginalisiert sind oder in Systemen leben, die bestimmte Perspektiven systematisch übergehen, zahlen am Ende immer (!) einen höheren Preis für ihr 'Lautsein', für ihre Sichtbarkeit und für ihren Mut, als jene, die über Privilegien verfügen und sich in öffentlichen Räumen sicher bewegen können.

Und genau deshalb braucht Veränderung neben den Einzelnen, die aufstehen und mutig sind, vor allem die, die sich ihrer Privilegien (--> mehr gesellschaftlicher Spielraum, mehr Sicherheit und mehr Einfluss) bewusst sind und Verantwortung übernehmen.

In diesem Fall bedeutet Verantwortung
A) Räume möglich zu machen, in denen andere überhaupt erst gehört werden k ö n n e n und
B) nicht still zu bleiben, wenn andere die Risiken des 'Lautwerdens' auf sich nehmen, weil das 'Stillsein' sie schon lange nicht mehr schützt oder weil es Strukturen legitimiert, die längst hinterfragt werden müssen oder weil es schlicht und einfach die eigene Handlungsfähigkeit untergräbt.

Und wenn wir über Diversität und strukturelle Benachteiligung sprechen, kommen wir aus meiner Sicht auch nicht mehr umhin, über strukturelle Verantwortung zu sprechen, denn Veränderung entsteht nicht allein durch heldenhafte Taten einzelner Akteur*innen. Sie entsteht durch geteilte Verantwortung, durch ehrliche Selbstprüfung/Reflexion, und sie entsteht, wenn man sich zu jenen (schützend) dazustellt, die den Mut haben aufzustehen und laut zu werden.

Kann nachhaltige Veränderung erst entstehen, wenn wir als Gesellschaft in der Lage sind, Mut und mutige Menschen zu schützen? Und was bräuchte es, damit wir diesen Schutz im Alltag, in Organisationen und in unserer Gesellschaft spürbar machen können?

Für mich ist Veränderung ein kollektiver Lernprozess.

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